Das Lesen und Schreiben lernen ist sehr anstrengend und mühsam. Üben steht an erster Stelle bis man erkennt, dass es allmählich flüssiger voran geht. In der dritten Klasse lesen viele Kinder bereits flüssig und müssen schon gar nicht mehr darüber nachdenken, wie ein Wort auszusehen hat.
Dafür sind verschiedene Faktoren ausschlaggebend:
- Die Geschwindigkeit, wie schnell Informationen verarbeitet werden können.
- Die Aufmerksamkeit, die beim Lernen, sinngemäßem Lesen oder beim Rechtschreiben erhöht werden muss.
- Die Wahrnehmung, die auf den Test oder das Arbeitsheft gerichtet werden muss, damit sich das Geschichtsfeld erweitert und mehr Buchstaben gleichzeitig wahrgenommen werden können.
- Das Antwortverhalten, die Reaktion, die das Kind auf das Gelesene oder Geschriebene gibt.
Ein Zusammenspiel all dieser Faktoren im adäquaten Maß ist in der ersten Klasse meist nicht möglich. Um ein „guter Leser“ zu werden, müssen erst eine Parallelverarbeitung von Abläufen und Informationsverarbeitung und die Automatisierung des Lese- und Schreibvorgangs erfolgen.
Parallelverarbeitung bedeutet, dass es dem Gehirn möglich ist, gleichzeitig verschiedene Gehirnareale zu aktivieren, sodass diese parallel zueinander Information verarbeiten. Zu Beginn ist das jedoch gar nicht möglich. Erlernt ein Kind eine neue Information, so gelangt dies vorerst in das Kurzzeitgedächtnis. Dieses kann aber auch nur eine Information verarbeiten (ein paralleles Verarbeiten ist nicht möglich). Das ist auch der Grund dafür, warum viele Kinder zwar einen Text lesen, jedoch den Sinn des Gelesenen nicht entnehmen können. Durch Üben und weiteres Lernen verändert sich allmählich die Gehirnstruktur. Die Informationen werden in das Langzeitgedächtnis verlagert und es bilden sich neue neuronale Verknüpfungen aus. Nur durch das Ablegen der Informationen (z.B. über das Aussehen eines Buchstabens) in das Langzeitgedächtnis können mehrere Informationen gleichzeitig verarbeitet werden. Wie viele Parallelprozesse ablaufen, soll an einem kurzen Beispiel erläutert werden. Ein Kind liest das Wort „Hund“:
- Sobald das Kind lesen soll, erweitert sich sein Gesichtsfeld und es erfasst ca. 4 Buchstaben gleichzeitig.
- Parallel analysiert das Gehirn bereits die Buchstaben, die weiter rechts im Text stehen (ein flüssiges Lesen wird dadurch ermöglicht).
- Andere Gehirnareale planen die weiteren Augenbewegungen und aktivieren die dazugehörige Muskulatur.
- Wiederum andere Areale analysieren den vorangegangenen Text und bringen das Wort „Hund“ damit in Verbindung.
- Das Langzeitgedächtnis vergleicht die bisher erlernte Bedeutung von „Hund“ und weitere Informationen hierzu.
- Soll das Kind zudem laut vorlesen, müssen andere Areale die Mundmotorik steuern.
Es ist also nicht verwunderlich, dass bei vielen Kindern Schwierigkeiten im Schrift-Spracherwerb entstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Leistungen das Gehirn erbringen muss. Forschungen haben zudem ergeben, dass bei Kindern, die große Defizite beim Erlernen des Lesens und Schreibens aufweisen, eine mangelnde neuronale Verknüpfung zwischen den benötigten Hirnarealen besteht. D.h. die benötigten Zentren kommunizieren nicht richtig miteinander. Man spricht dann meist von einer Lese- und Rechtschreibschwäche. Um eine solche Diagnose zu sichern, ist jedoch eine ausführliche Testung durch einen Psychologen nötig. Denn nicht jedes Kind, das sich beim Lesen schwer tut, fällt automatisch in diese Kategorie.