Was versteht man unter „Kranksein“, „Krankheit“ und „Erkrankung“?

Krankheit ist das Vorhandensein eines feststellbaren pathologischen Befundes oder einer Anomalie des Körpers.

Kranksein ist die subjektive Erfahrung des Verlusts der Gesundheit und drückt sich in Form von Symptomen aus, z.B. durch Klagen über Schmerzen oder Funktionsstörungen. Kranksein und Krankheit sind nicht das Gleiche, wenngleich es große Überschneidungen gibt. So kann z.B. bei einer Vorsorgeuntersuchung Krebs festgestellt werden, obwohl die betreffende Person über keinerlei Symptome klagt. Das heißt, es kann bei jemandem eine Krankheit diagnostiziert werden, ohne dass sich dieser vorher krank fühlte. Umgekehrt kann jemand als Simulant gelten, der über Beschwerden klagt (Kranksein), ohne dass der Arzt etwas (eine Krankheit) feststellen kann. Klagt jemand über Symptome und eine Untersuchung stellt einen Krankheitsprozess fest, dann überschneiden sich die Begriffe der Krankheit und des Krankseins. In diesen Fällen wird der Begriff der Erkrankung benutzt.

Krankheit und Kranksein sind eingebunden in einen sozialen Hintergrund!

Die engere soziale Umgebung (Familie, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen) übt eine Art Kontrolle über die Entscheidung des einzelnen Menschen aus: Die Personen der sozialen Umgebung äußern sich z.B. zu Krankheitsanzeichen und empfehlen ein bestimmtes Verhalten (z.B. zum Heilpraktiker gehen). Verhält sich der Betroffene entgegen dem Rat seiner sozialen Umgebung, so muss er negative Sanktionen fürchten. Insbesondere bei leichten Krankheitsanzeichen kann die Entscheidung darüber, ob Krankheit vorliegt oder nicht, auch ausgehandelt werden. Mit zunehmender Deutlichkeit körperlicher Symptome dagegen wird es immer wahrscheinlicher, dass Erkrankter und soziale Umgebung in ihrer Krankheitsdefinition übereinstimmen. In solchen Fällen können jedoch übergeordnete gesellschaftliche Bedingungen verhindern, dass sich der Kranke eine offizielle Bestätigung durch den Arzt geben lässt.  (Beispiele: 45-jähriger Maurer, der nicht zum Arzt geht, weil er Entlassung fürchtet; in wirtschaftlichen Krisenzeiten geht Zahl der Krankschreibungen meist deutlich zurück;

Die verschiedenen Stadien des Krankheitsverhaltens

Phase 1: Symptomwahrnehmung: Die Selbstbeurteilung einer Person führt zu einem Ergebnis, welches mit „Mit mir stimmt etwas nicht“ umschrieben werden kann. Im weiteren Verlauf werden die wahrgenommenen Missempfindungen als Vorboten bzw. Symptome einer Krankheit gedeutet. Die betroffene Person beurteilt sich also selbst als krank.

Phase 2: Konsultation des Laienbezugssystems: = eigentliche Phase des Krankheitsverhaltens, da die soziale Rolle des Kranken – allerdings noch nicht die des Patienten – übernommen wird. Der Erkrankte denkt in dieser Phase etwa, „Ich bin krank und brauche Hilfe“. Er sucht Rat bei Freunden und Bekannten (Laienbezugssystem) und erhält dort eine vorläufige Bestätigung seines neuen sozialen Status, des Krankenstatus, welche auch eine Befreiung von sonst normalen Aufgaben und Rollenverpflichtungen bedeutet. Zum Teil werden die Freunde und Bekannten des Erkrankten dazu raten einen Arzt aufzusuchen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Laienzuweisungssystem.

Phase 3: Kontakt zum medizinischen Versorgungssystem: Man spricht auch vom Übergang vom Laien-Bezugssystem zu einem professionellen Bezugssystem, d.h. der Kranke ruft einen Arzt oder ein Krankenhaus an bzw. begibt sich dorthin. Einflussmöglichkeiten: z.B. Kenntnisse über die Erkrankung, Kenntnisse über medizinische Einrichtungen, räumliche und soziale Distanzen zu medizinischen Institutionen etc.

Phase 4: Rolle des Patienten: Der Patient hat die Kontrolle des eigenen Gesundheitszustandes dem Arzt übertragen. Er wird ggf. von anderen sozialen Pflichten befreit (Krankschreibung). Umgekehrt geht der Patient die Verpflichtung ein, aktiv für seine Genesung einzutreten, indem er, zumindest nominell, die von ärztlicher Seite angeordneten Maßnahmen akzeptiert und befolgt.

Phase 5: Aufgabe der Rolle des Patienten bei erfolgreicher Behandlung oder Wandel der Patientenrolle bei Chronifizierung: In dieser Phase gibt der Erkrankte entweder die Rolle des Patienten wieder auf, weil er genesen ist. In diesem Fall wird er gesundgeschrieben. Wenn der Erkrankte hingegen auch auf Dauer seine Gesundheit nicht wieder erlangt (unheilbare Erkrankung, Chronische Krankheit) wird ihm die Rolle des Patienten in veränderter Form zugewiesen (chronischer Patient, Langzeitpatient, Behinderter).

Mit freundlichen Grüßen | Tabea Leonhardt | Dr. Frank & Partner München