Es gibt einige Kinder, die schon seit früher Kindheit sprachlich sehr geschickt sind, später in der Grundschule fantasiereiche Aufsätze schreiben und wenig Schwierigkeiten haben alles, was mit Sprache zu tun hat wie Lesen, Formulieren und Rechtschreiben, zu erlernen. Andere Kinder haben größere Schwierigkeiten beim Erlernen dieser Dinge, können sich nur mühsam Rechtschreibregeln merken und bringen manchmal Formulierungen zu Papier, die vermuten lassen, es handle sich um erste Versuche in einer Fremdsprache.
Von einer Legasthenie wird jedoch immer erst dann gesprochen, wenn die Lese- und/oder Rechtschreibleistungen eines Kindes deutlich schlechter sind, als man es gemäß seiner allgemeinen Intelligenz und seinem Alter von ihm erwarten würde. Nach den Angaben des ICD-10 ist das Hauptmerkmal eine bedeutsame Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, welche nicht allein durch das Entwicklungsalter, Visusprobleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Leseverständnis, die Fähigkeit gelesene Worte wieder zu erkennen, vorzulesen und Leistungen, für welche Lesefähigkeit notwendig sind, können sämtlich betroffen sein. Auch Rechtschreibstörungen sind bei der umschriebenen Lesestörung häufig und bestehen oft bis in die Adoleszenz. Derartigen Teilleistungsstörungen gehen Entwicklungsstörungen des Sprechens oder der Sprache voraus. Während der Schulzeit kommt es häufig zu begleitenden Störungen in den emotionalen Fähigkeiten und im Verhaltensbereich.
Betroffen sind im deutschsprachigen Raum etwa 5-10% aller Kinder. Ursachen für eine umschriebene Entwicklungsstörung des Lesens reichen von einer familiären Disposition bis hin zu toxischen Einflüssen während der Schwangerschaft. Häufig spricht man in diesem Zusammenhang auch von dem Risikofaktor der Sprachentwicklung. Kinder mit 18-24 Monaten durchschreiten die 50-Wort-Grenze und beginnen 2 Wortsätze zu verwenden. 13-20 % der Kinder kommen jedoch nicht über die 50-Wort-Grenze hinaus (late talkers), holen den Entwicklungsrückstand mit dem 3-4 Lebensjahr wieder auf. Bei anderen Kindern manifestiert sich jedoch dieser Sprachentwicklungsrückstand, wodurch es in Folge zu einer Legasthenie kommt.
Immer wieder taucht unter den Eltern der Schulkinder die Frage auf: „Machen Kinder mit Legasthenie ganz bestimmte Fehler?“ Es gibt keine typischen Fehler, an denen man einen Legastheniker zweifelsfrei erkennen kann. Allerdings gibt es eine Reihe von Schwierigkeiten, welche Legastheniker häufiger haben. In einem diesbezüglichen Erscheinungsbild kommt es bei den Betroffenen sowohl zu Symptomen der Lese- als auch der Rechtschreibschwäche.
Eine Lesestörung äußert sich bspw. durch Startschwierigkeiten beim Vorlesen, langes Zögern oder Verlieren der Zeile im Text. Des Weiteren sind eine niedrige Lesegeschwindigkeit, ein Auslassen, Verdrehen oder Hinzufügen von Worten oder Wortteilen häufig zuerkennen. Ebenfalls fällt es den betroffenen Kindern häufig schwer, Gelesenes inhaltlich wiederzugeben sowie aus dem Gelesenem Schlüsse zuziehen.
Bei der Rechtschreibstörung hingegen kommt es meist zu Reversionen, d.h. das innerhalb des Wortes Buchstaben spiegelbildlich verdreht werden (b-d, p-q). Auch das Umstellen von Buchstaben in einem Wort sog. Reihenfolgefehler, Regelfehler in der Groß- und Kleinschreibung, sowie Verwechslungen von ähnlich klingenden Buchstaben (t-d, g-k) lassen sich häufig erkennen.
Von großer Bedeutung bei derartigen Erscheinungen ist eine rasche Diagnostik, um dem Kind eine entsprechende zusätzliche Förderung gewährleisten zu können. Eine entsprechende Diagnostik kann nur durch ein Zusammenwirken von Psychologen, Fachärzten sowie der Schule und dem Elternhaus gestellt werden. Mit dem Salzburger-Lese-Rechtschreibtest werden bspw. die Lese- und Rechtschreibfertigkeiten entsprechende dem Alter durch verschiedene einzelne Subtests überprüft. Besondere schulische Erleichterungen bestehen seit dem Jahr 1999 durch einen Erlass des Kultusministeriums in Bayern. Legastheniker werden demnach von Leistungserhebungen, welche der Überprüfung der Rechtschreibkenntnisse dienen, befreit. Dementsprechend darf bspw. bei Aufsätzen im Fach Deutsch die Rechtschreibung bei einem betroffenen Schüler nicht in die Bewertung mit einfließen. Weiterhin sollte die Erarbeitung neuer Lerninhalte stärker mündlich als schriftlich erfolgen.
Viele Eltern betroffener Kinder suchen immer wieder nach Möglichkeiten, wie sie ihrem Kind helfen können. Dabei ist es wichtig, dem Kind Erfolgserlebnisse in anderen Bereichen zu vermitteln, weil diese Kinder meist sehr unter ihren schwachen schulischen Leistungen leiden. Auch beim Beüben der Defizite ist ein gezielter Einsatz von Lob und anderen positiven Verstärkungen schon bei kleinen Erfolgen von besonderer Bedeutung. Gerade im Bereich der Ergotherapie kann das Kind unter dem Einsatz von Symbolen, spielerischen sowie rythmischen Medien und Techniken zur Fehlerkontrolle Selbststärkung erfahren.