Wenn Frauen in der heutigen Zeit Mütter werden, wollen sie nach Möglichkeit in dem Umgang und in der Erziehung ihres Kindes alles richtig machen. Entwicklungspsychologen warnen jedoch die Mütter vor diesem angestrebten Leben in absoluter Harmonie und raten den Müttern nicht zu viel des Guten für ihr Kind zu tun. In psychologischen Fachkreisen spricht man bei der Durchführung derartiger absoluter harmonischer Erziehungsstile auch von der Gefahr, dem Sprössling in seiner Entwicklung ungewollt zu beeinträchtigen.
Natürlich erscheinen die ersten Zeilen dieses Artikels in der heutigen Zeit im ersten Moment paradox, gerade wenn die Medien uns beinahe täglich von misshandelnden und missbrauchten Kindern berichten. Doch viele Psychoanalytiker sehen das Anstreben einer absolut harmonischen Mutter-Kind-Beziehung ebenfalls als “eine Form der emotionalen Vernachlässigung“ an.
Bereits Ende der 50iger Jahre äußerte der englische Kinderpsychoanalytiker Donald W. Winnicott den prägenden Satz „ There is no such thing as a baby“ und wollt damit zum Ausdruck bringen, dass ein Kind erst durch die Interaktion mit der Mutter die Möglichkeit erhält, sich schrittweise in seiner Individualität wahrzunehmen bzw. zu entwickeln. Auch erklärte Winnicott, dass die Reaktionen der Mutter auf die Äußerungen des Kindes nicht immer allzu prompt sein sollten. Er formulierte nach seinen psychoanalytischen Ansätzen, dass sich „die hinreichend gute Mutter zu Beginn voll und ganz an die Bedürfnisse des Baby anpasst. Mit der Zeit wächst das Kind jedoch an seinen Fähigkeiten und die Mutter geht weniger perfekt auf die Bedürfnisse ihres Kindes ein. Durch den schrittweisen Rückzug der Mutter (optimale Frustration), lernt das Kind, dass seine Bedürfnisse nicht immer gleich erfüllt werden und wächst durch den Umgang mit den eigenen inneren Spannungszuständen an seiner Selbstregulation. Ebenso nimmt das Kind Objekte, wie die Eltern wahr, die gleichzeitig liebens- und hassenswert sind.“
In einem Interview in der Fachzeitschrift Psychologie heute nimmt die Psychoanalytikerin Judith Jackson kritisch Stellung zu der Aussage, dass „eine Mutter umso besser ist, je mehr sie ihrem Kind zugewandt ist.“ Natürlich gibt sie zu verstehen, dass eine gute Mutter sich durch ihre Feinfühligkeit und durch ihre Zugewandtheit gegenüber ihrem Kind auszeichnet. Allerdings muss sie stets aufpassen nicht die Rolle einer zu guten Mutter zu übernehmen, die stets danach strebt den Bedürfnissen ihres Kindes vorzugreifen, da sie selbst unfähig ist, den sonst aufkommenden Hass des Kindes auszuhalten.
Ein Kind benötigt nach den Ansichten vieler Entwicklungspsychologen also einen gewissen Freiraum, um herauszufinden, was es eigentlich will oder braucht. In den ersten Monaten nach seiner Geburt erlebt der Säugling natürlich das Hungergefühl viel zu intensiv und ist noch nicht in der Lage zu warten. Aber ab dem 4. Lebensmonat wächst das Baby sowohl an körperlicher, als auch an emotionaler Stärke und weiß bei nicht sofortiger Bedürfnisbefriedigung, dass sich im Hintergrund eine verlässliche Mutter befindet. Eine „zu gute Mutter“ würde (nach den Ansichten von Judith Jackson) in dieser Situation sofort alle anderen Tätigkeiten z.B. im Haushalt beenden und intervenieren, da sie es nicht ertragen kann, wenn ihr Kind kurz schreit.
Doch gerade für die spätere Entwicklung des Selbstbildes ist es für das Kind von besonderer Bedeutung zu erfahren, dass es nicht der einzige „Dreh- und Angelpunkt“ der Familie ist. Konsequenzen einer zu harmonischen und idealisierenden Mutter- Kind Beziehung bestehen nach den Ansichten von Kinderpsychoanalytikern mit großer Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder mit einem egozentrischen Selbstbild aufwachsen.
Sie erleben im Kindergartenalter und später auch in der Schule einen Schock, indem sie nur in einem gewissen Rahmen die Rolle des Prinzen oder der Prinzessin ausleben können. Es kommt dann nicht selten zu Schwierigkeiten in der eigenen Frustrationstoleranz sowie in der Fähigkeit Konkurrenz zu ertragen. Die Psychoanalytikerin Judith Jackson bezeichnet den Erziehungsstil einer zu guten Mutter als eine Form der Vernachlässigung. Nach ihren Ansichten sind „Kinder, denen zuviel gegeben wird ebenso vernachlässigt, wie Kinder, denen zu wenig gegeben wird. Nur kommen diese vom anderen Ende des Spektrums.“
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