Wie bereits im ersten Teil dieses Artikels erläutert wurde bedeutet Neuroplastizität, dass das Gehirn zu jeder Zeit fähig ist, neues zu lernen. Durch Erfahrungen baut unser Gehirn Verbindungen, metaphorisch wie „Straßen und Autobahnen“, wodurch ein Lernen möglich ist.
In diesem Artikel folgen nun die Vertiefung der theoretischen Grundlage und weitere Beispiele aus den ergotherapeutischen Arbeitsbereichen der Neurologie und Psychiatrie.
3. Neurologie
Nach einem Schlaganfall leiden viele Patienten unter einer Hemiparese (Halbseitenlähmung). Aufgrund des Schlaganfalles wurden Teile des Gehirns beschädigt, welche für die betroffene, gelähmte Seite zuständig sind. Trotz der Schädigung im Gehirn konnte mit diversen Studien nachgewiesen werden, dass sich die Armfunktion bereits nach 2 Wochen deutlich verbessert, wenn mit dem betroffenen Arm täglich mehrere Stunden trainiert wird. Denn die Nervenzellen sind nach einem Schlaganfall regenerationsfähig. Falls die Nervenzellen so stark geschädigt wurden, dass eine Regeneration nicht mehr möglich ist, können andere Hirnregionen die entsprechenden Funktionen übernehmen. Durch Training wird dem Gehirn somit Erfahrungen mit dem betroffenen Arm ermöglicht, wodurch das Gehirn Lernen kann und sich neue Verbindungen aufbauen können, oder die bestehenden Nervenzellen wieder regeneriert werden. Selbst wenn der Schlaganfall bereits mehrere Jahre zurück liegt, sind noch Fortschritte möglich. Dieselbe funktionsweise kann auch bei anderen neurologischen Störungen wie beispielsweise einer Aphasie oder kognitiven Beeinträchtigungen angewendet werden.
Wichtig hierbei ist jedoch das freiwillige Training und, dass der Patient kognitiv mitmacht während der Ausführung der Bewegung. Nur wenn seine Aufmerksamkeit auf das Training fokussiert wird, kann ein optimales Lernen im Gehirn stattfinden.
4. Psychiatrie
Für den Bereich der Psychiatrie ist die Neuroplastizität von großer Bedeutung. Denn viele psychiatrische Störungsbilder bestehen aus „fehlerhaften“ Verknüpfungen. Bei der posttraumatischen Belastungsstörung, welche mit einem sehr traumatischen Erlebnis hervorgeht, findet eine solche „fehlerhafte“ Verknüpfung statt. Hat der Betroffene beispielsweise einen schlimmen Unfall erlebt, kann sein Gehirn Erlebnisse des Unfalls mit alltäglichen Gegebenheiten verknüpfen. So kann eine Verbindung zwischen Autohupen und Angst entstanden sein. Dies führt anschließend dazu, dass der Betroffene bereits Angst verspürt, wenn etwas hupt oder klingelt. Oft sind diese Verbindungen dann auch nicht bewusst vorhanden und führen bei den Betroffenen immer wieder zu sogenannten „Flashbacks“. Genauso verhält es sich auch bei der Zwangsstörung oder beispielsweise der Depression. Zwangsgestörte zeigen ein bestimmtes Verhaltensmuster (Ständiges Händewaschen), wozu sie dann eine Einstellung entwickeln (ansonsten sind überall schädliche Bakterien), welches aber nicht mit der Realität übereinstimmt. Kaum sehen die Betroffenen etwas Schmutziges, verspüren sie den Impuls die Hände waschen zu müssen. Denn eine Verbindung zwischen dem Verhaltensmuster und dem Gedanken, dass sonst etwas Schlimmes passiert, gekoppelt wurde. Auch bei der Depression verhält es sich so, dass der Betroffene eine Verbindung zu der Situation und einer pessimistischen Einstellung koppelt.
Die Entdeckung und Beweislage der Neuroplastizität war für den psychiatrischen Bereich von großer Bedeutung. Denn ein Großteil der psychiatrischen Behandlung beruht darauf, solche Verknüpfungen zu lösen und neue Verhaltensmuster anzueignen. Auch in der Ergotherapie werden mit den Betroffenen neue Wege gesucht, um Situationen zu beurteilen oder neue Verhaltensweise in gewissen Situationen auszuprobieren.
Neuere Studien zeigen zudem auf, dass bereits ein ausschließlich mentaler Prozess messbare Auswirkungen auf das Gehirn hat. Für die Betroffenen bedeutet dies, dass sie rein durch die Vorstellung an neue Verhaltensmuster die Verbindungen verändern und eine Veränderung im Gehirn herbeigeführt wird.
Zusammengefasst kann gesagt werden, dass der Geist genauso trainiert werden kann wie der Körper. Dies kann durch mentales Training oder durch neue Verhaltensmuster und Denkmuster geschehen.
Im dritten und letzten Teil zur Neuroplastizität folgt noch die Vertiefung in den ergotherapeutischen Bereichen der Orthopädie und Geriatrie und wo die Grenzen der Neuroplastizität im Zusammenhang mit der Ergotherapie liegen.
Mit freundlichen Grüßen | Natalie Scheuermeier | Dr. Frank & Partner Zürich