Die Entwicklung neuraler Hyperaktivität in Reflexpunkten ist eine der häufigsten Ursachen von muskuloskelettaler Schmerzen, dennoch wird nach Travell (1976) die Aktivität der Reflexpunkte häufig genug nicht erkannt und damit auch nicht entsprechend behandelt, wieso auch…
Obwohl im Laufe der letzten 50 Jahre viel über die Reflexpunkte und deren Wirkung geschrieben worden ist, zögern viele Ärzte nach wie vor, ihnen die Bedeutung, die Ihnen eigentlich zusteht, auch zukommen zu lassen. Ein Grund dafür mag sein, dass ihre Beschaffenheit und ihre Wirkungsweise lange Zeit ein dunkles Geheimnis war bzw. bis zum heutigen Tage immer noch ist. Der Berufsstand der Mediziner darf sie nun nicht länger ignorieren, denn die neuesten Erkenntnisse über die Neurophysiologie des Schmerzens haben schließlich Erklärungen für die nozigenen Eigenschaften der Reflexpunkte geliefert.
Reflexpunkte sind in den verschiedenen Geweben zu finden: im Skelettmuskeln und in den zugehörigen Sehnen, in den Gelenkkapseln mit den zugehörigen Bändern, im Periost und in der Haut. Die Reflexpunkte in der Haut liegen meistens im Bereich von Narbengewebe, ihre Verteilung ist somit von Mensch zu Mensch unterschiedlich. In anderen Geweben ist ihre Lokalisation fast bei jedem Menschen identisch. Sie können an diesen Stellen durch Palpation anhand ihrer erhöhten Empfindlichkeit schon identifiziert werden, bevor sie aktiv werden. Erfahren diese potentiellen Reflexpunkte nun eine Aktivierung, werden sie aufgrund einer stark erhöhten Sensibilität der Nervenendigungen extrem berührungsempfindlich.
Diese äußerst empfindlichen, aktivierten Reflexpunkte sind in zwei Gruppen zu differenzieren, und zwar die der latenten Phase und die der voll aktiven Phase. Als latente Reflexpunkte werden sie bezeichnet, wenn das Ausmaß der Aktivierung noch nicht ausreicht, um Schmerzen zu verursachen, sie sind daher auch bei Routineuntersuchungen an Gesunden zu finden.
Ein aktiver Reflexpunkt dagegen ist in so hohem Maß aktiviert, dass die davon ausgehende Impulse das Nervensystem bombardieren und somit einen Schmerz verursachen, der in der Nachbarschaft des Punktes oder in weiter davon entfernte Areale ausstrahlt (Areal des übertragenden Schmerzes). Die Tendenz der potentiellen Reflexpunkte zur Aktivierung steigt im Alter an, doch auch bei Kindern kann eine Aktivierung von Reflexpunkte die Ursache muskuloskelettaler Schmerzen sein, wie Bates und Grunwaldt (1958) zeigen konnten. Aktive Reflexpunkte entstehen entweder völlig neu an den Stellen potentieller Reflexpunkte, oder sie entwickeln sich aufgrund der Aktivierung latenter Punkte.
Myofasziale Reflexpunkte
Reflexpunkte in Muskeln können im Sinne eines primären oder sekundären Ereignisses aktiviert werden. Die Prädilektionsstellen hierfür sind ihre Ansatz- und Ursprungsstellen, aber auch die freien Muskelränder und auch der Muskelbauch, hier jedoch vor allem der Bereich der Motorpunkte.
Enthält ein Muskel aktive Reflexpunkte, so erfährt er eine gewisse Verkürzung und Schwächung. Jeder Versuch der Dehnung führt zu Schmerzen, die schon auftreten, bevor er wieder seine normale Länge erreichen könnte. Macdonald (1980) untersuchte bei 10 Personen mit myofaszialen Reflexpunkten die schmerzhaften Bewegungen sehr sorgfältig und kam zu folgendem Ergebnis:
„Aktive und passive Bewegungen eines betroffenen Muskels verstärken den Schmerz, wenn der Muskel dabei gedehnt wird…dieselbe Bewegungsabläufe verursachen keine Zunahme der Schmerzen, wenn sie im Sinne einer Verkürzung der betroffenen Muskelfasern ausgeführt werden. Der Schmerz nimmt zu, wenn der Muskel eine agonistische Rolle beim Druck gegen einen Widerstand einnimmt (Zunahme de isometrischen Spannung); spielt der Muskel bei einem gleichartigen Manöver keine agonistische Rolle, ist auch keine Schmerzzunahme zu beobachten.“
Auch in der gesunden Haut kann es zur Aktivierung von Reflexpunkten mit nachfolgenden übertragenen Schmerzen kommen (Sinclair, 1949; Tommer und Gellmann, 1952). Diese sind, nach meiner Erfahrung, meistens im Bereich von Narben zu finden. Man sollte diese Möglichkeit im Auge behalten, wenn man nach der Ursache für persistierende postoperative Schmerzen sucht. Reflexpunkte in Bändern oder Gelenken sind ebenfalls eine häufige Ursache persistierender Schmerzen, noch heute werden sie häufig übersehen, obwohl Leriche (1930) schon vor 50 Jahren versucht hatte, die Aufmerksamkeit auf die Entwicklung von Reflexpunkten in diesen Geweben als Folge von Frakturen oder Verstauchungen zu lenken.
Vorgehensweise / Untersuchung
Die zur Identifizierung von Reflexpunkten notwendige Technik erfordert einige Geschicklichkeit und Erfahrung. Seien sie nun im Periost, in der Haut oder vor allem im Muskel zu lokalisieren. Es ist sehr bedauerlich, dass Medizinstudenten hierin keine Ausbildung erhalten, obwohl viel Zeit aufgewendet wird, um Ihnen manche andere physikalische Untersuchungsmerkmale beizubringen, die von weit geringerer Bedeutung für die tägliche Praxis sind, so wie ich dieses schon erfahren durfte.
Der Grund für die geringe Beachtung, die beim Studienunterricht den myofaszialen Schmerzsyndromen geschenkt wird, mag darin liegen, dass sie bisher recht vage unter so unpassenden, unspezifischen und unangenehmen Termini wie Muskelrheumatismus und Fibrositis abgehandelt werden, wobei man dem dabei auftretenden Schmerz als einer sich selbst limitierenden, geringfügigen Störung nur geringer Bedeutung beimisst.
Die Folge ist, dass im Falle persistierender muskuloskelettaler Schmerzen der Muskel selbst nur einer recht oberflächlichen Untersuchung unterzogen wird. Dagegen werden die skelettalen Strukturen, wie Gelenke, Knochen, Bandscheiben, mit äußerster Genauigkeit, und hier insbesondere ihre radiologischen Veränderungen, unter die Lupe genommen.
Die dieser Vorgehensweise immanente Gefahr liegt darin, dass beim Fehlen von radiologisch dokumentierten pathologischen Befunden der Schmerz als vergleichsweise unbedeutend angesehen wird. Besitzt der Patient darüber hinaus die Dreistigkeit, sich nach wie vor über Schmerzen zu beklagen, obwohl man ihm versichert hat, dass nichts Ernstes gefunden wurde, wird allzu rasch eine psychische Ursache angenommen. Die Möglichkeit, dass die Persistenz der Schmerzen auf der Aktivierung von muskulären Reflexpunkten beruhen könnte, wird nicht einmal in Erwägung gezogen.
Findet sich dagegen ein radiologischer Befund, so wird allzu rasch angenommen, dass dies die Schmerzursache sei, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es sich um einen zufälligen Begleitbefund bei einem Patienten handeln könne, dessen Schmerzen primär muskulärer Genese sind. Ein gleichermaßen häufiger Fehler ist die Annahme, dass es sich in jedem Falle um die Kompression einer Nervenwurzel handeln müsse, da der Schmerz ja in eine Gliedmaße oder um den Rumpf ausstrahlt, selbst wenn keinerlei objektive neurologische Befunde hierfür vorliegen. Dieser Fehler wird sicherlich demjenigen unterlaufen, der es unterlässt, die Muskeln systematisch zu untersuchen, um die Möglichkeit auszuschließen, dass es sich um die Folge einer Übertragung von myofaszialen Reflexpunkten aus handeln könne.
Die ersten Hinweise auf die Muskeln, die wahrscheinlich von der Reflexpunktaktivierung betroffen sind, erhält man bereits, wenn man die Beschreibung der Schmerzausbreitung analysiert und wenn man genau beobachtet, welche Bewegungsabläufe eingeschränkt sind. Jeder verdächtige Muskel sollte dann unter leichter Dehnung systematisch auf Reflexpunkte untersucht werden, indem mit dem Finger Druck ausgeübt wird. Der Druck sollte ausreichend stark sein, denn bei zu schwachem Druck werden wahrscheinlich einige Reflexpunkte übersehen. Im Bereich normaler Muskulatur verursacht ein kräftiger Druck kein Unbehagen, in der Nachbarschaft eines Reflexpunktes wird er bereits als leicht unangenehm und direkt auf dem Reflexpunkt selbst als äußerst unangenehm empfunden, da hier die Nervenendigungen hypersensibel sind und dementsprechend reagieren.
Mit freundlichen Grüßen | Matthias Krawutschke | Dr. Frank & Partner München