Eine Untersuchung des Universitätsklinikums Hamburg im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zeigt erhebliche Defizite in Diagnostik und Behandlung von depressiven Patienten.

Depression wird heutzutage gerne als „Volkskrankheit“ betitelt. Und tatsächlich leidet nahezu jeder fünfte Mensch im Laufe seines Lebens wenigstens einmal unter einer Depression. 2011 wurde bei 13% der deutschen Versicherten eine Depression diagnostiziert – das entspricht jedem achten Erwachsenen. Man geht davon aus, dass in Deutschland aktuell etwa 9 Millionen Menschen an einer behandlungsbedürftigen Depression erkrankt sind. Grund genug für die Bertelsmann-Stiftung das Universitätsklinikum Hamburg mit einer Studie über einen Zeitraum von 3 Jahren (2010-2012) zu beauftragen, um anhand der Daten von rund 6 Millionen Versicherten den Versorgungsstand der Betroffenen zu ermitteln.

Die Studie bezieht sich auf die Erfüllung der „Nationale Leitlinie“, welche eine Kombinationsbehandlung aus Antidepressiva und Psychotherapie empfiehlt und kommt zu alarmierenden Ergebnissen.

Rund 18% der Untersuchten wurden überhaupt nicht behandelt, 12% befanden sich in als angemessen zu betrachtender stationärer Behandlung und 14% erhielten eine angemessene Kombinationstherapie. Bei diesen Prozentsätzen handelt es sich lediglich um Durchschnittswerte.

Auffällig sind die großen Unterschiede verschiedener Gebiete der Bundesrepublik zueinander. Grundsätzlich schneiden der Norden und die Mitte der Republik im Ländervergleich besser ab als der Osten und der Süden. Besonders Bayern und Baden-Württemberg fallen durch ein Ungleichgewicht zwischen Bedarf und Behandlung auf. Durch eine große Menge an diagnostizierten Depressionsfällen bilden die Länder, zusammen mit Schleswig-Holstein den Spitzenreiter auch beim Anteil der chronisch verlaufenden Fälle, sind gleichzeitig aber Schlusslicht bei der leitlinienorientierten Behandlung.

Bei chronischen Fällen ergab die Studie im Durchschnitt eine Rate von lediglich 12% richtigen Behandlungen, denen 57% mit einseitiger Therapie entweder medikamentös oder psychotherapeutischer Begleitung gegenüber stehen. 31% der chronisch Erkrankten wurde überhaupt nicht behandelt.

Auch hier bei den chronischen Verläufen ist ein deutliches regionales Gefälle sichtbar: Während es Kreise in Nordrhein-Westfalen gibt, die mit einer Rate von 24% beim Doppelten des Durchschnitts liegen, ergaben sich die niedrigsten Werte für Regionen in Bayern mit lediglich 7%.

Zu den Hintergründen der stark differierenden Werte in den unterschiedlichen Regionen nennt die Studie verschiedene mögliche Ursachen. Neben den negativen Einflüssen, die unspezifische Diagnosen auf den Behandlungsverlauf haben, erscheint auch die Hausarzt- und Therapeutendichte und die damit verbundene Latenz von Über- und Unterdiagnostik ursächlich für die lokal unterschiedlichen Prozentsätze. Auch räumlich ungleich verteilte Risikofaktoren bilden eine mögliche Quelle der Diskrepanzen. Und nicht zuletzt läge die Vermutung nahe, dass das in Bayern und Baden-Württemberg angewendete Hausarzt-Modell zu einer veränderten Diagnostik beiträgt.

Sinnfällig bei der Auswertung der Studie war ebenfalls, dass mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit einer angemessenen Behandlung statistisch drastisch sinkt. Nur rund 10% der über 60-jährigen Patienten mit schweren Depressionen würden gemäß der Leitlinie angemessen behandelt (ca. 30 % der 18-50 Jährigen), die übrigen erhielten entweder keine oder nur unzureichende, rein medikamentöse Therapie. Dabei wäre gerade im Seniorenalter eine gute Therapie von Nöten, da 80% der Fälle im höheren Alter ohnehin einen chronischen Verlauf nehmen.

In Folge der in der Studie erhobenen Daten konstatiert die Bertelsmann-Stiftung erheblichen Handlungsbedarf im Hinblick auf die Verbesserung von Diagnostik und Behandlung von depressiven Patienten. Mögliche Wege zur Korrektur der aktuellen Lage werden gesehen in der bedarfsorientierten  Verteilung der Haus- und Fachärzte, der weiteren Versorgungsforschung sowie vor allem der Umsetzung und Entwicklung vernetzter und integrierter Versorgungsmodelle.

Weitere Informationen zu diesen Verbesserungsmöglichkeiten, Hintergrundinformationen sowie die komplette Studie der Bertelsmann Stiftung finden Interessierte hier.

Mit freundlichen Grüßen | Franziska Ittner | Dr. Frank & Partner München