Den Aspekt der Personenwahrnehmung möchte ich im Folgenden genauer darstellen, da er in der ergotherapeutischen Arbeit von Bedeutung ist. Im Allgemeinen ist die Wahrnehmung und Beurteilung eines Menschen durch einen anderen meist wenig objektiv, sondern subjektiv. Die Beobachtung ist ein häufig angewendetes Verfahren in der Ergotherapie, um einen Befund über einen Patienten zu erstellen. Bei der Beobachtung ist es daher wichtig, sich der grundlegenden Prinzipien der Personenwahrnehmung bewusst zu sein, um nicht zu fehlerhaften subjektiven Beobachtungsergebnissen zu gelangen.
Trotz des Bemühens der Unvoreingenommenheit gegenüber einer unbekannten Person entwickelt sich schon nach kürzester Interaktion ein sympathisches oder unsympathisches Grundgefühl gegenüber der betreffenden Person. Der sogenannte erste Eindruck einer Person ist sehr wichtig. Spätere Informationen über die Person werden häufig umgedeutet, abgewertet oder ignoriert, um den ersten Eindruck durch die Aufmerksamkeitshypothese aufrechtzuhalten. Die Sympathie oder Antipathie gegenüber einem Menschen führt zu einer unterschiedlichen Bewertung von dessen Eigenschaften. Zusätzlich wird die Aufmerksamkeit vorrangig auf Ungewöhnliches fokussiert, sodass Normales bzw. Erwartetes weniger wahrgenommen wird. Hinzukommend neigt der Mensch dazu aus beobachteten Verhaltensweisen persönliche Eigenschaften abzuleiten, um so ein einheitliches Bild einer Person zu erhalten.
Der Gestaltpsychologe Solomon E. Asch hat die Annahme, dass bestimmte Eigenschaften wichtiger bzw. bedeutender für den Gesamteindruck eines Menschen sind als andere. So ergibt sich ein Gesamtbild einer Person auf den wirklich beobachteten Daten und den erfundenen Eigenschaften (um die vorhandenen „Lücken“ zu schließen), die zusammen ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Das äußere Erscheinungsbild, das Temperament, die geistigen Fähigkeiten und die sozioökonomische Schicht sind Beispiele für Kategorien, welche mit der Annahme für bestimmte persönliche Eigenschaften einhergehen. Auch das nonverbale Ausdrucksverhalten einer Person ist für die Personenwahrnehmung von Bedeutung. Je mehr nonverbales Verhalten gezeigt wird, desto zutreffender wird die Beurteilung sein. Hierbei ist es jedoch wichtig den situativen Kontext zu beachten, da nonverbales Verhalten je nach Situation anders beurteilt wird. Das bewusste Vortäuschen oder Hemmen von nonverbalen Verhalten ist bei der Beurteilung ebenfalls zu berücksichtigen.
In der ergotherapeutischen Intervention ist es daher wichtig die beobachteten Aspekte objektiv zu sichern, so z.B. durch das Beschreiben der gesamten Situation. Die bereits gewonnenen Daten sollten durch wiederholte Beobachtung in veränderter Situation erneut fundamentiert werden. Zusätzlich ist es hilfreich neben der Beobachtung auch anerkannte Tests einzusetzen, um die Beobachtung weiter zu stützen. Auch das Beobachtete von Kollegen und per Video kann dazu dienen, die Beobachtungsergebnisse zu be- oder zu widerlegen. Die Kenntnis der Personenwahrnehmung kann somit dazu dienen, dass die Beurteilung eines Menschen weniger subjektiv ist und dadurch objektivere Beobachtungsergebnisse erzielt werden können, wenn eine Sicherung der beobachteten Daten erfolgt.
Mit freundlichen Grüßen | Juliane Kugler| Dr. Frank & Partner Berlin